Zugriffe auf Dokumente zu messen ist im Web so wichtig wie Verkaufszahlen in Printmedien, denn der Anzeigenumsatz ist davon abhängig. Die Einführung eines verbesserten Verfahrens haben IVW-Mitglieder jetzt verzögert.
So hatte sich das die IVW, die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern, nicht gedacht, als sie Ende letzten Jahres ihr neues Messverfahren für die Zugriffszahlen auf Webserver plante. Zwar sind die Zählserver fertig und über 50 wurden versiegelt als so genannte IVW-Boxen an zentralen Punkten im Internet verteilt. Denn schon ab Anfang November wollte der Verein mit dem neuen Verfahren zählen und im Dezember 2001 die ersten Daten veröffentlichen.
Doch einige seiner Mitglieder verzögern nun die seit langem angekündigte und mehrfach verschobene Umstellung. Dass das Ganze für die IVW überraschend kam, ist daran zu erkennen, dass der Verein noch am 14. September 2001 bekannt gab, dass der neuen Messmethode `nach eingehender Diskussion ... mehrheitlich seine Zustimmung' gegeben worden sei.
Dass das neue Messverfahren jetzt auf so heftige Ablehnung stößt, hat zwei Gründe: einen offiziellen und einen, den Insider als wahre Ursache handeln. Offiziell heißt es, ein Medienunternehmen aus der Reihe der IVW-Mitglieder blockiere das Verfahren, bis zusätzliche `Sicherheitsfunktionen' in die Box eingebaut seien. Dabei geht es um die Ausfallzeit, falls eine defekte Box ausgetauscht werden muss.
Statistisch gibt der Zählcomputer beziehungsweise dessen Hard- und Software alle vier Jahre seinen Geist auf. Dann dauert es rund zwei Stunden, bis die Zählimpulse auf eine neue Ersatzbox umgeleitet werden können. Diese Zeitdauer hängt mit dem Umschalten des DNS und Propagieren der neuen Route zusammen. Sie lässt sich nicht durch eine kleine Korrektur in der Zählsoftware verkürzen, sondern ist dem System immanent. Das Medienunternehmen sei bereit, einen Ausfall von maximal 10 Sekunden zu akzeptieren, heißt es.
Da die Funktionsweise der neuen IVW-Boxen und damit das `Umschaltproblem' seit längerem bekannt ist, liegt der Verdacht nahe, dass es einen anderen Grund für den überraschenden Einspruch gibt. Aus dem Umfeld der IVW heißt es, dass sich RTL gegen das neue Verfahren wehre. Dafür kann es zwei Gründe geben: etwa, dass die internen Programme zum Weiterverarbeiten der Daten noch nicht umgestellt und Probleme mit dem Interface der Box aufgetreten seien.
Maßgeblich sei aber ein massiver Einbruch bei den Besuchszahlen auf dem RTL-Webserver. So genannte `Visits' geben an, wie viele Besuche auf ein Webangebot kommen. PageImpressions (Seitenabrufe) und Visits sind direkt für das Vermarkten des Webauftritts relevant und daher entscheidend für den finanziellen Erfolg. Gerüchte besagen, dass RTL bei Probemessungen von Teilangeboten des Auftritts einen Einbruch der `Visits' um bis zu 80 Prozent ermittelt hat. Diese Zahl ist auf Grund der Besucherstruktur auf dem Webserver des Senders nicht unwahrscheinlich. Denn im Gegensatz zum ersten, 1997 eingeführten Messverfahren, ist das neue Verfahren bei den Besuchszahlen erheblich genauer.
Durchschnittlich misst das neue Verfahren 42 Prozent weniger Visits bei den Webangeboten. Wobei die Zahlen desto heftiger einbrechen, je mehr Unterhaltungscharakter der Auftritt hat. Die Erklärung dafür liegt im alten Zählverfahren. Beim Ermitteln der Visits ist im Gegensatz zu den PageImpressions die Zeit ein wichtiger Parameter. Ein Visit ist durch eine Reihe von Seitenabrufen definiert, die ausgehend von einer Internet-Adresse (IP) mit einem bestimmten Browser eines bestimmten Betriebssystems durchgeführt werden. Dabei dürfen die Seitenabrufe, um zu einem Visit zu gehören, nur eine bestimmte Zeit auseinander liegen.
Wie groß dieses Zeitfenster ist, war selbst der IVW bisher nicht sicher bekannt, da dieser Parameter fest in den binären Code der Zählsoftware (genauer: der Datenbanksoftware Yamm) einkompiliert war. Aus urheberrechtlichen Gründen durfte die IVW bisher den Quellcode nicht einsehen. Vermutungen zufolge betrug die Zeitspanne 240 Sekunden. Bei den neuen Zähl-Boxen wurde dieses Zeitfenster nach internationalem Standard auf 30 Minuten hochgesetzt. Außerdem lassen sich Besucher durch das Setzen von Cookies und den Einsatz von JavaScript (das beispielsweise den Referer ausliest) besser identifizieren.
Diese zusätzlichen Informationen führen zusammen mit dem größeren Zeitfenster zu einer erheblich verbesserten Trennschärfe. Die liegt bei dem neuen Verfahren nach Auskunft der IVW bei 95 Prozent. Ruft ein Besucher heute eine Webseite etwa vom Heise-Verlag ab und liest fünf Minuten darin, um anschließend auf eine weitere Heise-Seite zu wechseln, zählt sein Besuch mit dem alten Verfahren noch als zwei Visits. Nach dem neuen ist es nur noch einer.
Zentrales Problem für Unterhaltungsserver wie RTL ist, dass viele private Benutzer über große Provider wie AOL kommen (über insgesamt vier Proxies, also nur vier IP-Nummern) und denselben Browser (eben AOL) und dasselbe Betriebssystem (Windows 95/98) benutzen. Das kleine Zeitfenster von 240 Sekunden sollte diese Anwender trennen, hat sich aber als viel zu klein erwiesen. (hb)